Mehr als ein Fünftel der Schweizer Bevölkerung lebt mit einer Behinderung, wobei ein Grossteil dieser Einschränkungen nicht sichtbar ist. An einer Konferenz im Espace Innothèque der Foire du Valais zeigte Cristina Gatti, Gründerin des Walliser Unternehmens GoBiz, wie technologische Inklusion KMU verändern kann. Ihre Botschaft ist klar: Einfache Tools, die oft bereits auf unseren Computern verfügbar sind, können die Produktivität und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden erheblich verbessern.
In der Schweiz verbieten die Bundesverfassung und das Behindertengleichstellungsgesetz Diskriminierung und zielen darauf ab, Ungleichbehandlungen zu beseitigen. Auch die Behindertenpolitik 2023–2026 und die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verfolgen diese Ziele. «Das Ziel ist es, niemanden auszuschliessen und die digitale Kluft zu verringern, die nicht nur Behinderungen, sondern auch den sozialen Status und das Alter betrifft», erklärt Cristina Gatti.
Allerdings bestehen für Unternehmen keine gesetzlichen Verpflichtungen in diesem Bereich. Es gibt zwar einige kantonale Initiativen, aber es sind vor allem gesellschaftliche und wirtschaftliche Zwänge, die eine grössere Inklusion fördern. «Es ist Aufgabe jedes einzelnen Unternehmens, Lösungen anzubieten», betont sie.
Unsichtbare Behinderungen, die sich auf die Produktivität auswirken
In der Schweiz leben 22% der Bevölkerung, also 1,9 Millionen Menschen, mit einer Behinderung. Laut Pro Infirmis fühlen sich vier von fünf Menschen in ihrer sozialen Teilhabe eingeschränkt oder ausgeschlossen. Darüber hinaus sind 10% der Bevölkerung legasthenisch, und 15% der Beschäftigten sehen sich täglich mit unsichtbaren Hindernissen konfrontiert.
Zu diesen unsichtbaren Behinderungen zählen insbesondere Legasthenie, Dysorthographie, Dyskalkulie, Aufmerksamkeitsstörungen, aber auch chronische Müdigkeit, Fibromyalgie, Epilepsie, Depressionen oder sensorische Beeinträchtigungen. «Eine zu lange E-Mail, die schwer zu lesen ist, eine zu komplexe IT-Verwaltung: Das wirkt sich auf die Mitarbeitenden aus und die Produktivität sinkt», stellt Cristina Gatti fest.
Warum werden diese Behinderungen ignoriert?
Im Gegensatz zu sichtbaren Behinderungen bleiben diese Einschränkungen unbemerkt. «Die Mitarbeitenden haben Angst vor Stigmatisierung und den Blicken anderer. Sie sprechen nicht darüber. KMU bemerken es nicht, also unternimmt niemand etwas», fasst die Gründerin von GoBiz zusammen. Der Mangel an Schulungen und Sensibilisierung trägt ebenfalls dazu bei, dass diese Situation fortbesteht.
Das Ignorieren dieser Behinderungen kommt Unternehmen allerdings teuer zu stehen: Produktivitätsverlust (E-Mails müssen fünfmal Korrektur gelesen werden, akkumulierte Müdigkeit), verminderte Zufriedenheit und Verlust an Vielfalt bei den Talenten. «Das Ignorieren dieser Behinderungen wirkt sich auf alle Mitarbeiter des Unternehmens aus, nicht nur auf die betroffene Person», warnt sie.

Technologische Lösungen sind bereits verfügbar
Die gute Nachricht ist, dass inklusive Technologien oft bereits auf den Computern des Unternehmens verfügbar sind. Cristina Gatti stellte in ihrem Vortrag mehrere Tools vor: Sprachdiktat (aktivierbar mit Windows + H), Vorlesen in Word, die Rechtschreibprüfung Antidote oder den immersiven Reader, mit dem man sich auf eine oder mehrere Zeilen konzentrieren und den Hintergrund der Seite anpassen kann.
Es gibt noch weitere Lösungen, wie z.B. Wortvorhersagen (WordQ), die beim schnelleren Schreiben helfen und den Benutzer in allen Anwendungen begleiten, oder auch Mindmaps, Aufgabenverwaltung und gemeinsame Kalender.
Wie kann man aktiv werden?
Für Cristina Gatti besteht der erste Schritt darin, den Dialog zu suchen, sowohl mit den Mitarbeitenden als auch mit sich selbst. «Man muss sich Fragen zum Verständnis seiner E-Mails stellen: Sind sie gut strukturiert, ausreichend lesbar?» Anschliessend geht es darum, die Bedürfnisse im Unternehmen zu identifizieren und die Kollegen zu fragen, was sie benötigen, um leistungsfähiger zu sein.
Die Einführung dieser Tools ist sehr kostengünstig und bringt konkrete Vorteile. «Damit verbessert man nicht nur die Produktivität, sondern auch das Image seines Unternehmens», bekräftigt sie. Digitale Barrierefreiheit ermöglicht es, ein leistungsfähigeres, innovativeres und menschlicheres Unternehmen aufzubauen. «Digitale Inklusion ist eine strategische Herausforderung, und die Einführung dieser Tools ist oft für alle Mitarbeitenden von Nutzen», zieht Cristina Gatti ein Fazit.